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Personalisierte Medizin

Wie ist es möglich, dass zwei Menschen mit der gleichen Krankheit unterschiedlich auf die Behandlung mit demselben Medikament reagieren? Die Antwort liegt in den Genen.

1. Weniger Nebenwirkungen dank Pharmakogenomik

Vergleicht man das Erbgut zweier Menschen, zum Beispiel das Erbgut einer Schülerin und ihres Banknachbarn, so wird man feststellen, dass sich die beiden Genome an etwa 3 bis 9 Millionen Basenpaaren, den «Buchstaben» des Erbguts, unterscheiden (einzige Ausnahme: der Banknachbar ist zugleich der eineiige Zwilling).

Einzelne Unterschiede in der Buchstabenabfolge der DNA-Sequenz bezeichnen Forschende als Single Nucleotide Polymorphism, kurz SNP (sprich «Snip»). SNPs sind geerbte und vererbbare genetische Variationen von Basenpaaren. Wo die Schülerin zum Beispiel ein Adenosin in ihrem Erbgut trägt, hat ihr Nachbar vielleicht ein Thymin. Diesen Unterschied merkt man in der Regel überhaupt nicht. Er kann aber in einzelnen Fällen grosse Auswirkungen haben, denn falls diese DNA-Sequenz abgelesen wird und ein Protein entsteht, dann könnte dieses Protein bei der Schülerin und beim Banknachbarn unterschiedlich aussehen und auch unterschiedlich wirken. Ist dieses Protein zum Beispiel am Abbau eines Medikaments beteiligt, so könnte das bedeuten, dass die beiden Personen ein bestimmtes Medikament unterschiedlich verarbeiten.

Nun stellen Sie sich vor, die Schülerin und ihr Banknachbar würden an der gleichen Krankheit erkranken, zum Beispiel an Krebs. Beide würden mit demselben Medikament behandelt, dann müssten doch beide vom Medikament gleich gut profitieren. In der Realität kommt es aber manchmal vor, dass die gleichen Medikamente der einen Person helfen, der anderen aber nicht. Lange wussten die Ärzte nicht, warum das so ist. Heute ist klar: Das kann an den oben erwähnten genetischen Unterschieden im Erbgut, den SNPs (siehe Grafik 13.1) liegen. Aber auch viele andere Faktoren können einen Einfluss haben. Zum Beispiel Tabakkonsum, Erkrankungen, die eine Person durchgemacht hat, oder biologische Faktoren wie das Alter oder das Geschlecht.

Grafik 13.1: Die Macht der Snips
© Interpharma

Beispiel Warfarin

Warfarin ist ein Medikament, das die Blutgerinnung vermindert. Das Problem bei diesem Medikament ist, die richtige Dosis für die Patienten zu finden: Schon bei geringfügiger Überdosierung kann es zu Blutungen kommen, ist die Dosis zu gering, wirkt das Medikament nicht effizient und es besteht die Gefahr, dass Thrombosen (z. B. Blutgerinnsel) entstehen.
Verschiedene Faktoren beeinflussen die Wirkung von Warfarin bei Patienten (siehe Grafik): Bislang wurden drei Gene entdeckt (GGCX, VKORC1 und CYP2C9), aber auch klinische Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Ernährung können die Wirkung beeinflussen.

Quelle: Rettie et al.

Dass das gleiche Medikament bei Menschen mit der gleichen Krankheit unterschiedlich wirken kann, ist seit langem bekannt. Und es kann schlimme Folgen haben: In den USA gab es im Jahr 2007 geschätzte 100’000 Todesfälle aufgrund von unerwünschten Medikamentenwirkungen. Statistiken zeigen, dass etwa 20 bis 75 Prozent aller Patienten nicht die für sie ideale Therapie oder Dosis erhalten. Die grosse Spannbreite der Prozentzahlen zeigt, dass verschiedene Medikamente unterschiedlich stark von diesem Effekt betroffen sind.

Mit Hilfe der Pharmakogenomik wollen Forschende dieses Problem angehen. Pharmakogenomik bedeutet, dass vor einer Behandlung abgeklärt wird, ob ein Medikament für einen bestimmten Patienten geeignet ist oder nicht. Dazu führt der Arzt vor der Behandlung zum Beispiel einen Gentest durch (siehe Bild 13.1).

Bild 13.1: Gentest
© Interpharma

Um zum obigen Beispiel zurückzukehren: Der Arzt überprüft, ob die Schülerin oder ihr Banknachbar an der fraglichen Stelle im Genom ein Adenosin oder ein Thymin haben. Der Arzt weiss aufgrund klinischer Studien, dass Patienten mit einem Adenosin an besagter Stelle nicht auf das Krebs-Medikament XY ansprechen werden. Die Schülerin wird in diesem hypothetischen Beispiel also nicht mit dem Medikament XY behandelt, sondern mit einem anderen (siehe Grafik 13.2).

Grafik 13.2: Weniger Nebenwirkungen dank Pharmakogenomik
© Interpharma