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Gendermedizin: Warum die Frage nach dem Geschlecht wichtig ist

Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau wurde in der Medizin lange vernachlässigt – oft zum Nachteil der Frauen. Doch nun gewinnt die geschlechtsspezifische Medizin an Bedeutung. Sowohl in der Lehre und Forschung, in der Politik als auch in der Industrie.

4. Aktuelle Entwicklungen

Politik

Das Thema Gendermedizin wird in der Schweiz öffentlich diskutiert und stösst auf grosses Interesse. Auf nationaler Ebene hat der Bundesrat im August 2019 ein Postulat angenommen, das verlangt, dass die geschlechterspezifische Medizin für Frauen mehr berücksichtigt werden soll. Auch der Nationalrat befürwortete dieses Anliegen am 18. Juni 2020. Derzeit laufen drei Motionen in der Bundesversammlung zu dieser Thematik:

Motion 19.3577 fordert die Umsetzung der geschlechtsspezifischen Medizin in Forschung, Therapie und Prävention in Zusammenarbeit mit den medizinischen Fachgesellschaften.

Motion 20.3092 fokussiert auf die Umsetzung der geschlechtsspezifischen Medizin in Forschung und Lehre.

Motion 20.3093 verlangt vom Bundesamt für Gesundheit, dass die Kategorie Geschlecht in der Umsetzung der Strategie “Gesundheit 2030” berücksichtigt wird.

Forschung und Lehre

In der medizinischen Forschung und Lehre erhält Gendermedizin zunehmend Beachtung. Medizinische Fakultäten und Hochschulen integrieren Module in ihre Lehrpläne, um Studierende bereits frühzeitig auf das Thema zu sensibilisieren. Die Universitätsklinik Charité in Berlin, eine der grössten in Europa, ist bereits seit 2003 mit einem interdisziplinären Zentrum in diesem Feld tätig. Auch die Universität Zürich plant per Herbst 2023 einen neuen Lehrstuhl, der sich dem Spezialgebiet Gendermedizin widmet. Ute Seeland vom Vorstand der «Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin» meldet für Deutschland dennoch ernüchternde Zahlen: «Es sind nur ungefähr sieben Prozent der Fakultäten, die das Wissen vom ersten bis zum letzten Semester integriert haben, und nur eine Universität, die die Prüfungen auch danach gestaltet.»

Auch in der Forschung steigt das Interesse am Thema. Ein Hinweis dafür bietet die Anzahl entsprechender Publikationen zum Thema „Gender medicine“:

Auch in der klinischen Forschung ­– zumindest in den USA – sind Erfolge zu verzeichnen: Zwischen 2010 bis 2012 waren bereits 45 % Frauen vertreten.

Industrie

Nicht nur auf politischer und medizinischer Ebene, sondern auch in der Industrie rückt die Thematik in den Vordergrund. Die Industrie hat erkannt, dass im Bereich Frauengesundheit grosser Nachholbedarf besteht. Während zum Beispiel für männertypische Leiden wie Erektionsstörungen viel geforscht wurde, gibt es für verbreitete Frauenleiden wie Endometriose und Wechseljahresbeschwerden deutlich weniger Lösungsansätze.

Diese Marktlücke wird zunehmend von sogenannten «FemTech»-Unternehmen («Female Technology») abgedeckt, die sich spezifisch der Gesundheit der Frau widmen. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2025 der weltweite FemTech-Markt wachsen wird. Mehr als 1300 Unternehmen weltweit nehmen sich mittlerweile spezifisch den Beschwerden der Frau an.

Zahlreiche Beispiele für solche FemTech-Firmen gibt es auch in der Schweiz. Das Waadtländer Start-Up «Aspivix» etwa bietet mit einer Saugtechnologie eine sanftere Alternative zur Kugelzange: Ein chirurgisches Instrument, das beispielsweise für die Einführung der Spirale verwendet wird und Schmerzen und Blutungen verursacht. Das Basler Unternehmen «Mulier Health» erlaubt Frauen mit personalisierten Messgeräten und Plattformen, ihre Gesundheit selber zu kontrollieren. Die Zürcher Firma «Ava» betreibt einen Fruchtbarkeitstracker in Form eines Armbands und das Spin-off der Universität Zürich «Muvon Therapeutics» entwickelt Therapieformen für frauenspezifische Harninkontinenz.