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Biopharmazeutika herstellen

Um Biopharmazeutika herzustellen, braucht es nicht nur Bioreaktoren und Fermenter, sondern auch Forscherinnen und Forscher, die an den richtigen Einstellungen tüfteln. Jede noch so kleine Veränderung hat einen Einfluss auf das am Ende hergestellte Biopharmazeutikum.

Ob man für vier Leute kocht oder für vier Millionen, ist ein gewaltiger Unterschied. Genauso geht es Forscherinnen und Forschern, die ein Medikament in Form eines Proteins im grossen Stil herstellen möchten.

3. Vorteile von Biopharmazeutika

Forschende kämpfen bei der Bioproduktion immer wieder mit Verunreinigungen in den Fermentern, etwa durch Retroviren, die mit der Zelllinie in den Fermenter eingeschleppt werden. Viren sind schwierig zu beseitigen, da sie sehr klein sind und nicht per Filtration ausgeschaltet werden können. Auch Bakterien und Pilze können in Fermentern Probleme verursachen. Solche Fälle sind zwar sehr selten, sie haben aber gravierende Folgen, da der gesamte Fermenterinhalt entsorgt werden muss.

Forschende bei der Kontrolle eines Fermentationstanks.
© Roche

Forschende arbeiten bei der Produktion von Biopharmazeutika mit standardisierten Zelllinien, die weltweit erhältlich sind. Diese haben den Vorteil, dass sie gut erforscht sind. E. coli– Zelllinien sind gar die naturwissenschaftlich bestuntersuchten Lebewesen. Stossen die Forschenden bei der Produktion auf Probleme, dann können sie auf ein riesiges Arsenal an Literatur zurückgreifen.

Haben die Forschenden eine Zelllinie dahingehend verändert, dass sie das gewünschte Protein in grosser Menge produziert, so werden diese Zellen als Firmengeheimnis gehütet, denn dahinter steckt viel Arbeit. Sie können bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff über längere Zeit gelagert werden. Meist legen die Firmen eine Master-Zellbank an, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen können.

Übrigens: Wissenschaftler können für die Produktion von Biopharmazeutika nicht nur auf Mikroorganismen und Säugetierzellen zurückgreifen, sondern auch auf Pflanzen. In den letzten 20 Jahren ist das Potenzial verschiedener Pflanzen zur Produktion biopharmazeutischer Proteine eindrucksvoll demonstriert worden: In über 20 Pflanzenarten wurden mehr als 100 verschiedene Proteine unterschiedlicher Komplexität produziert. Der erste in Pflanzen hergestellte biopharmazeutische Wirkstoff ist das Enzym Taliglucerase alfa aus Karottenzellen zur Behandlung von Patienten mit der seltenen Krankheit Morbus Gaucher (Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA im Mai 2012).

Gentechnisch veränderte Ziege produziert Wirkstoff

Im Sommer 2006 wurde in Europa erstmals ein Wirkstoff zugelassen, der von einer Ziege hergestellt wird. Beim Wirkstoff handelt es sich um menschliches Antithrombin, das Patienten verabreicht wird, die unter einer erblichen Antithrombin-Schwäche leiden. Der Wirkstoff verhindert die Entstehung von Blutgerinnseln.

Die Produktion von Biopharmazeutika ist aufwändig, teuer und auch mit Risiken verbunden. Dazu kommt, dass diese Wirkstoffe aufgrund ihrer sensiblen Struktur den Patienten nur mit einer Spritze verabreicht werden können. Sie können nicht in der handlicheren Tablettenform (oral) eingenommen werden.

Trotzdem lohnt sich die Produktion von Biopharmazeutika, weil diese gegenüber herkömmlichen Arzneimitteln einige Vorteile besitzen: Sie wirken zum Beispiel sehr spezifisch im Körper, reagieren also ausschliesslich mit dem Zielmolekül.

Dieser Vorteil der Biopharmazeutika bedeutet auch einen wirtschaftlichen Pluspunkt. In den letzten Jahrzehnten sind die Forschungs- und Entwicklungskosten für ein neues Medikament stetig gestiegen und liegen heute bei zirka einer Milliarde Franken. Im Gegensatz zu den meisten synthetisch hergestellten Wirkstoffen, wovon durchschnittlich eine von 10‘000 im Labor getesteten Substanzen auf den Markt kommt, erreichen 25 Prozent der Biopharmazeutika, welche die klinischen Phasen I bis III durchlaufen, eine Zulassung. Bei synthetisch hergestellten Arzneimitteln beträgt dieser Anteil lediglich sechs Prozent.

In den letzten Jahren kamen stetig neue Biopharmazeutika auf den Markt: Jedes Jahr werden im Schnitt etwa acht neue Biopharmazeutika zugelassen. Biopharmazeutika machen mittlerweile rund 24 Prozent des weltweiten Pharmamarktes aus.

Biotechnisch hergestellte Medikamente

Neben Insulin werden heute viele weitere Medikamente biotechnisch hergestellt. Zum Beispiel das Wachstumshormon hGH. Dieses Hormon hilft Kindern, die an einer Form von Zwergwuchs (Hypopituitarismus) leiden, die auf eine ungenügende Versorgung mit diesem Hormon zurückgeht. Ein weiteres Produkt ist der Gewebe-Plasminogen-Aktivator TPA. Das Protein hilft, Blutgerinnsel aufzulösen und verringert das Risiko nachfolgender Herzinfarkte, wenn es kurz nach dem ersten Herzinfarkt verabreicht wird. Ein anderes Beispiel: Ein kleines Protein imitiert ein Rezeptorprotein, an welches das Aids-Virus bindet, wenn es weisse Blutzellen befällt. Das Virus bindet stattdessen an die Wirkstoffmoleküle und wird dadurch abgehalten, die Blutzellen zu befallen (Fusionsinhibitor). Und auch bei einem Teil der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch kann die Biotechnologie weiterhelfen: Das follikelstimulierende Hormon (FSH) wird heute gentechnisch hergestellt. Weitere Produkte sind unter anderem: Alpha-Interferon (wirkt gegen Haarzell-Leukämie, Hepatitis B oder Nierenkrebs), Beta-Interferon (Virusinfektionen, Multiple Sklerose), Gamma- Interferon (Nierenzellkarzinom, Rheumatoid, Arthritis), Interleukin 2 (Aids, Krebs, Rheumatoide Arthritis), Tumor-Nekrose Faktor (Krebs, Virusinfektionen), Epo (Blutarmut, Missbrauch Doping), Faktor VIII (Bluterkrankheit), Protein G (Autoimmunkrankheiten). Gewisse Impfstoffe (etwa gegen Hepatitis B) und alle Antikörper-basierten Medikamente wie zum Beispiel Herceptin (siehe Kapitel Monoklonale Antikörper) werden heute ebenfalls biotechnisch hergestellt.

Im Jahr 2011 wurden rund achtmal mehr Medikamente aus bio- und gentechnologischer Herstellung abgegeben als noch vor zehn Jahren.
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